Küttner Blog
5 Minuten Lesezeit (1045 Worte)

Neues zur Rückzahlung von Sonderzuwendungen

Mit Urteil vom 27. Juni 2018 (10 AZR 290/17) hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) eine Stichtagsregelung in einem Tarifvertrag, der die Rückzahlung einer Sonderzuwendung vorsah, wenn ein Arbeitnehmer bis zum 31. März des folgenden Jahres aus eigenem Verschulden oder auf eigenen Wunsch aus dem Beschäftigungsverhältnis ausschied, als wirksam erachtet. Zwar greife die tarifvertragliche Regelung in die Berufswahlfreiheit der Arbeitnehmer ein, diese Einschränkung sei aber noch verhältnismäßig. Bislang liegt nur die entsprechende Pressemitteilung vor (Nr. 36/18). 

I. Die Entscheidung des BAG vom 27. Juni 2018​

Hintergrund der Entscheidung des BAG war Folgender:

In einem Verkehrsunternehmen galt aufgrund einzelvertraglicher Bezugnahme im Arbeitsvertrag mit dem betroffenen Arbeitnehmer ein Tarifvertrag. Dieser sah eine zum 1. Dezember eines jeden Jahres zu zahlende Sonderzuwendung vor, die auch der Vergütung für geleistete Arbeit diente. Diese Sonderzuwendung sollte zurückzuzahlen sein, wenn der Arbeitnehmer in der Zeit bis zum 31. März des folgenden Jahres aus eigenem Verschulden oder auf eigenen Wunsch aus dem Beschäftigungsverhältnis ausschied. Der Arbeitnehmer kündigte das Arbeitsverhältnis im Oktober des laufenden Jahres, d.h. vor Fälligkeit der Sondervergütung, zum Januar des Folgejahres. Mit der Abrechnung für den Monat November zahlte die Arbeitgeberin dann aber zunächst die tarifliche Sonderzuwendung an den Arbeitnehmer aus. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses forderte sie sie entsprechend der tarifvertraglichen Regelung zurück. Der Arbeitnehmer lehnte ab und verwies darauf, dass die tarifliche Regelung unwirksam sei. Sie enthalte eine unverhältnismäßige Kündigungsbeschränkung und verstoße gegen sein Grundrecht auf Berufsfreiheit aus Artikel 12 Abs. 1 GG. Auf die Klage des Unternehmens hin wurde der Arbeitnehmer zur Rückzahlung verurteilt. Das BAG bestätigte diese Entscheidung (vgl. Pressemitteilung Nr. 36/18).

Das BAG stützt dabei die Zulässigkeit der Vorgabe eines Stichtags außerhalb des Bemessungszeitraumes, für den eine Leistung gewährt wird, unter anderem darauf, dass den Tarifvertragsparteien das Vorrecht zukomme, die tatsächlichen Gegebenheiten, die betroffenen Interessen und die Regelungsfolgen einer derartigen Rückzahlungsklausel zu beurteilen. Sie hätten einen Beurteilungs- und Ermessensspielraum hinsichtlich der inhaltlichen Gestaltung der tariflichen Regelung und seien dabei nicht verpflichtet, die zweckmäßigste, vernünftigste und gerechteste Lösung zu wählen. Die Vereinbarung eines Stichtags für die Gewährung oder das Behaltendürfen einer Sonderzuwendung, der außerhalb des Zeitraums liegt, für den die Sonderzuwendung gewährt wird, hat das Bundesarbeitsgericht damit in einem Tarifvertrag für zulässig erachtet. 

II. Bewertung der Entscheidung

Das BAG hat in den letzten Jahren mehrfach arbeitsvertragliche Stichtagsklauseln im Zusammenhang mit Sonderzuwendungen zu beurteilen gehabt. Die Rechtsprechung hat sich dabei seit einer Änderung im Jahr 2012 an sich verstetigt. Zuvor wurden solche Stichtagsklauseln immer dann für zulässig erachtet, wenn eine Leistung eines Arbeitgebers nicht reinen Entgeltcharakter hatte. Nur Stichtagsregelungen, die ausschließlich Vergütungen für bereits erbrachte Arbeitsleistungen vom Bestand des Arbeitsverhältnisses zu einem bestimmten Zeitpunkt abhängig machten, sollten danach nicht zulässig sein. Bei Gratifikationen, d.h. Sonderzuwendungen, die alleine an den Bestand des Arbeitsverhältnisses und an seine Fortdauer in der Zukunft anknüpften, oder bei Sonderzuwendungen mit Mischcharakter, d.h. solchen Zahlungen, die sowohl erbrachte Arbeitsleistung als auch künftige Betriebstreue honorieren sollten, sollten Stichtagsregelungen zulässig sein. Seit 2012 geht das BAG nunmehr davon aus, dass auch bei Sonderzahlungen mit Mischcharakter Stichtagsregelungen in Arbeitsverträgen jedenfalls im Grundsatz unzulässig sind (BAG v. 18. Januar 2012 – 10 AZR 612/10). In dieser Entscheidung hatte das BAG bei Sonderzahlungen mit Mischcharakter eine Stichtagsklausel als unwirksam erachtet, die einen ungekündigten Bestand des Arbeitsverhältnisses außerhalb des Bezugszeitraums verlangte. Das BAG hat die arbeitsvertragliche Regelung als unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB gewertet. Die Stichtagsregelung führe zu einer Kündigungserschwerung für den Arbeitnehmer und verletze ihn deshalb in seiner Berufsfreiheit aus Artikel 12 Abs. 1 GG. Zudem stehe eine Stichtagsklausel bei Leistungen, die auch Vergütungscharakter hätten, in Widerspruch zum Grundgedanken des § 611 Abs. 1 BGB, weil sie dem Arbeitnehmer bereits erarbeiteten Lohn entziehe. Für arbeitsvertragliche Stichtagsregelungen ist durch die vorzitierte Entscheidung und ein weiteres Urteil vom 13. November 2013 (10 AZR 848/12) damit klargestellt, dass Vereinbarungen von Stichtagen für Sonderzahlungen, die außerhalb des Zeitraums liegen, für den zumindest auch eine Vergütung gezahlt wird, unwirksam sind, weil sie den Arbeitnehmer unangemessen benachteiligen. In diese Richtung hatte der Arbeitnehmer auch in dem jetzt zu entscheidenden Fall vor dem BAG argumentiert. Das Gericht ist dem nicht gefolgt.

Für Stichtagsregelungen, die dadurch einzelvertraglich vereinbart werden, dass ein Tarifvertrag insgesamt in das Arbeitsverhältnis einbezogen wird, gelten diese Grundsätze nach der Entscheidung des BAG vom 27. Juni 2018 nämlich nicht, dies mit der Begründung, dass eine Inhaltskontrolle der in Bezug genommenen Tarifregelung ausscheide. Letztlich findet eine solche Inhaltskontrolle nämlich nur dann statt, wenn von Rechtsvorschriften durch allgemeine Geschäftsbedingungen abgewichen wird. Dabei steht nach § 310 Abs. 4 Satz 3 BGB ein Tarifvertrag Rechtsvorschriften im Sinne von § 307 Abs. 3 BGB gleich. Wenn also von einem Tarifvertrag nicht abgewichen, sondern stattdessen der Tarifvertrag insgesamt in den Arbeitsvertrag einbezogen wird, fehlt es an einer Abweichung und deshalb an einem Ansatzpunkt für eine Inhaltskontrolle entsprechender Regelungen. Eine Unwirksamkeit der Stichtagsregelung wegen einer unangemessenen Benachteiligung des Arbeitnehmers nach § 307 BGB kam folglich nicht in Betracht.

Sonstige Unwirksamkeitsgründe, die also den Tarifvertrag selbst nichtig machten, hat das BAG sodann geprüft, aber nicht feststellen können. Nach dem Inhalt der Pressemitteilung sieht das BAG den Unterschied zu – unverändert – unwirksamen Stichtagsregelungen in Arbeitsverträgen oder Betriebsvereinbarungen letztlich darin, dass den Tarifvertragsparteien das Vorrecht eingeräumt wird, eigenverantwortlich die tatsächlichen Gegebenheiten und die betroffenen Interessen zu beurteilen und die aus Sicht der Tarifvertragsparteien insoweit gebotenen Rechtsfolgen festzulegen. Der dadurch den Tarifvertragsparteien zukommende Regelungsspielraum soll nach der Pressemitteilung des BAG „den Arbeitsvertrags- und Betriebsparteien nicht in gleichem Maße" offen stehen. Aus der Wirksamkeit von Stichtagsregelungen in einem Tarifvertrag als kollektives Regelungsinstrument lässt sich daher auch in Zukunft nicht auf eine entsprechende Zulässigkeit auf anderen Stufen arbeitsrechtlicher Gestaltungsmittel schließen. Der Arbeitsvertrag ist unverändert nicht geeignet, bei Sonderzuwendungen mit Entgeltcharakter oder mit Mischcharakter wirksam einen Stichtag zu vereinbaren, der außerhalb des Bemessungszeitraums für die Sonderzahlung liegt. Nichts anderes gilt jedenfalls nach dem Inhalt der Pressemitteilung und nach der Begründung, die in der Pressemitteilung des BAG zutage tritt, für Betriebsvereinbarungen, wenn das BAG ausdrücklich den Betriebsparteien einen derartigen Gestaltungsspielraum nicht zugestehen will.

III. Empfehlungen für die Praxis

Auch angesichts der neuesten Entscheidung des BAG bleibt es dabei, dass Sonderzuwendungen mit Mischcharakter tunlichst vermieden werden sollten. Stattdessen sollten Arbeitgeber eher unterschiedliche Sonderzuwendungen ausloben und diese entweder als Vergütung für geleistete Arbeit oder ausschließlich als Gratifikationen ohne Bezugnahme auf die in der Vergangenheit geleistete Arbeit ausgestalten. Bei letzteren sind die Stichtagsregelungen fraglos zulässig, bei ersteren jedenfalls auf arbeitsvertraglicher und auf Betriebsebene nicht.

Ähnliche Beiträge

  • T +49 221 22286 - 0
  • F +49 221 22286 - 400
  • Richmodstraße 8, 50667 Köln
  • Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

© by Küttner Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB