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Entschädigung für konfessionslose Bewerberin – Das Ende des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts?

Das Urteil kam nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) im April 2018 wenig überraschend: Der 8. Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) sprach der Klägerin eine Entschädigung wegen einer Benachteiligung aufgrund der Religion zu (Urteil vom 25. Oktober 2018 – 8 AZR 501/14). Neben dem überschaubaren wirtschaftlichen Schaden, hat dieses Urteil vor allem Konsequenzen für das kirchliche Selbstbestimmungsrecht. Zugleich treibt es die generelle Entwicklung zur Vereinheitlichung des Rechts und der Rechtsprechung innerhalb Europas weiter voran. 

I. Was bisher geschah

Die Geschichte begann mit einem Urteil des Arbeitsgerichts Berlin im Jahr 2013. Im zugrundeliegenden Fall hatte sich die konfessionslose Klägerin auf eine befristete Referentenstelle bei einem Werk der Evangelischen Kirche beworben. Nachdem sie nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wurde, verlangte sie die Zahlung einer Entschädigung, da sie aufgrund ihrer Konfessionslosigkeit diskriminiert worden sei. Nachdem das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben hatte, hat das Landesarbeitsgericht auf die Berufung der Beklagten die Klage abgewiesen. Bevor das BAG über die Revision entschied, wollte es vom EuGH unter anderem wissen, ob der kirchliche Arbeitgeber verbindlich selber festlegen darf, für welche Tätigkeiten er eine Religionszugehörigkeit fordern kann. In unserem Beitrag vom 19. April 2018berichteten wir bereits über die Entscheidung des EuGH und die rechtlichen Hintergründe.

II. Europarechtliche Vorgaben und Entscheidung des EuGH (17. April 2018 – C-414/16)

Nach der europäischen Antidiskriminierungsrichtlinie ist eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion nur zulässig, wenn die Religionszugehörigkeit nach der Art der Tätigkeiten oder den Umständen ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt. Der EuGH betont, dass eine Abwägung zwischen dem Recht der Arbeitnehmer bzw. Bewerber auf eine diskriminierungsfreie Behandlung und dem Autonomierecht der Kirche vorzunehmen sei. Die Religionszugehörigkeit müsse mit Blick auf die konkreten Tätigkeiten notwendig, objektiv geboten und erforderlich sein. Insbesondere sei ein Zusammenhang zwischen der betreffenden Tätigkeit und dem vom kirchlichen Arbeitgeber gestellten Anforderungsprofil zu verlangen. Die Einhaltung dieser Kriterien unterliege dabei einer gerichtlichen Kontrolle.

Im Nachgang zur Entscheidung des EuGH trat die Frage auf, bei welchen konkreten Tätigkeiten eine Religionszugehörigkeit notwendig, objektiv geboten und erforderlich ist. Je weiter sich eine Tätigkeit dabei von der Verkündung des jeweiligen Glaubens entfernt, desto schwieriger wird es sein, die zwingende Notwendigkeit der Religionszugehörigkeit zu begründen. Ob im Hinblick auf den Arzt in einem kirchlichen Krankenhaus eine Religionszugehörigkeit gefordert werden kann, erscheint zweifelhafter als für Berufe, die unmittelbar mit der Glaubenslehre in Verbindung stehen, wie es beispielsweise bei Priestern oder Religionslehrern der Fall ist. Allerdings ist auch ein Arzt nicht nur Mediziner, sondern muss im Umgang mit Patienten ethische Entscheidungen verantworten, die in Zusammenhang mit seinem Glauben stehen mögen. Die Kirche argumentiert freilich, dass christliche Wertvorstellungen den Umgang mit Menschen prägen und damit für zahlreiche Tätigkeiten Relevanz entfalten. Mit Blick auf die BAG-Entscheidung bestand die Hoffnung auf mehr Klarheit und allgemeine Leitlinien.

III. Urteil des BAG laut Pressemitteilung Nr. 53/18 (25. Oktober 2018 – 8 AZR 501/14)

Der Senat betont zunächst, dass § 9 Abs. 1 Alt. 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) im Widerspruch zur Antidiskriminierungsrichtlinie stehe und daher vorliegend unangewendet bleiben müsse. Nach dieser Vorschrift des AGG könnte eine Ungleichbehandlung aufgrund der Religion allein durch das kirchliche Selbstbestimmungsrecht gerechtfertigt werden. Ein Bezug der Religion zur Art der Tätigkeit ist nach dem Gesetzeswortlaut nicht erforderlich. Dies widerspreche der EU-Richtlinie und der Rechtsprechung des EuGH. Damit wendet das BAG ein nationales Gesetz wegen des Verstoßes gegen europarechtliche Vorgaben nicht an und treibt die generelle Tendenz zur Vereinheitlichung des Rechts und der Rechtsprechung in Europa weiter voran.

Bezüglich der Rechtfertigung der Ungleichbehandlung – so der Senat weiter – bestünden bei einer Referententätigkeit erhebliche Zweifel an der Wesentlichkeit der beruflichen Anforderung. Wesentlich sei die Religionszugehörigkeit insbesondere, wenn sie aufgrund der Bedeutung der beruflichen Tätigkeit für die Bekundung des Glaubens notwendig wäre. Da eine Referententätigkeit nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit der Verkündung des Glaubens steht, meldet das BAG Zweifel an. Letztendlich komme es aber auf diese Frage der Wesentlichkeit nicht an, da die Religionszugehörigkeit keine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstelle. Dies sei nur dann der Fall, wenn die Kirche die Gefahr geltend mache, dass ihr Ethos oder ihr Recht auf Autonomie wahrscheinlich und erheblich durch die fehlende Religionszugehörigkeit verletzt werde. Das BAG sah im konkreten Fall keine solche Gefahr, da der jeweilige Stelleninhaber – wie aus der Stellenausschreibung ersichtlich – in einen internen Meinungsbildungsprozess bei der Kirche eingebunden war und deshalb in Fragen, die das kirchliche Ethos betrafen, nicht unabhängig handeln konnte.

IV. Folgen der Entscheidung – kein Ende des kirchlichen Selbstbestimmungsrechtes!

Zumindest aus der Pressemitteilung ergeben sich keine unmittelbaren Anhaltspunkte, für welche konkreten Tätigkeiten nach Ansicht des BAG eine Religionszugehörigkeit gefordert werden kann. In Bezug auf die Referententätigkeit der Klägerin meldet der Senat Zweifel an, positioniert sich aber nicht abschließend. Die Lösung über das Element der gerechtfertigten beruflichen Anforderung mag vorliegend zu einem vertretbaren Ergebnis führen, wird aber nicht zur Rechtssicherheit beitragen. Weil der Senat ausdrücklich auf die konkrete Stellenausschreibung abstellt, lässt sich diese Argumentation auf andere Formulierungen nicht übertragen. Soweit in der Stellenausschreibung etwa dargelegt wird, dass eine gesteigerte Eigenverantwortung besteht und die Religionszugehörigkeit für die Entscheidungsfindung und deren Kommunikation notwendig ist, trägt diese Argumentation nicht mehr. Folglich stiege vor allem der Begründungsaufwand der Kirche, nicht jedoch die inhaltlichen Hürden.

Festhalten lässt sich, dass arbeitsrechtliche Entscheidungen innerhalb der Kirche einer gesteigerten gerichtlichen Kontrolle unterliegen. Ein Ende des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts geht mit dem Urteil nicht einher, es wird jedoch stärker durch staatliche Gerichte begrenzt. Nicht zuletzt deshalb wurde von Seiten der Kirche bereits erwogen, das Urteil vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) überprüfen zu lassen. Zwar haben die katholische und evangelische Kirche ihre beruflichen Anforderungen zwischenzeitlich gelockert, Konflikte wird es aber weiterhin geben. Dies zeigten zuletzt etwa Berichte über die verweigerte Einstellung eines homosexuellen Lehrers an einem katholischen Gymnasium. Auch der nach seiner Wiederheirat entlassene Chefarzt eines katholischen Krankenhauses hatte zuletzt beim EuGH Erfolg. Fazit: Kein Ende der kirchlichen Selbstbestimmung, aber der Beginn weiterer rechtlicher Auseinandersetzungen.

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