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Arbeitnehmer müssen unbillige Weisung nicht vorläufig befolgen

Erteilt ein Arbeitgeber in Ausübung des Direktionsrechts einem Arbeitnehmer eine Weisung, unterliegt diese neben den individual- und etwaigen kollektivvertraglichen sowie gesetzlichen Grenzen stets der Ausübung billigen Ermessens (sog. Billigkeitskontrolle). Im Kern findet mit der Billigkeitskontrolle eine umfassende Einzelfallabwägung der wechselseitigen Interessen statt. Bisher war es die Rechtsauffassung des Bundesarbeitsgerichts (BAG), dass ein Arbeitnehmer zunächst verpflichtet sei, einer (nur) unbilligen Weisung des Arbeitgebers – also einer Weisung, die innerhalb der vertraglichen sowie gesetzlichen Grenzen liegt, aber individuelle Interessen nicht angemessen berücksichtigt – vorläufig nachzukommen, bis die Unbilligkeit rechtskräftig durch die Arbeitsgerichte festgestellt wird (BAG v. 22.02.2012 – 5 AZR 249/11). Diese Auffassung hat der 5. Senat des BAG nun verworfen. Arbeitnehmer müssen eine unbillige Weisung mithin künftig nicht (mehr) vorläufig befolgen. Gleichwohl tragen sie auch weiterhin das Risiko, dass sich die Weisung später als billige und damit verbindliche Weisung herausstellt.

I. Worum geht es?​

Nach der Entscheidung des 5. Senats vom 22.02.2012 waren Arbeitnehmer verpflichtet, einer (nur) unbilligen Weisung solange nachzukommen, bis durch die Arbeitsgerichte eine Unbilligkeit rechtskräftig festgestellt wurde. Nur wenn die Weisung zumindest auch gegen Bestimmungen des Arbeitsvertrags, einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrags oder gesetzliche Vorschriften verstieß, brauchten die Arbeitnehmer sie nicht zu befolgen, bis rechtskräftig etwas anderes gerichtlich festgestellt wurde.

War beispielsweise der Arbeitsort ohne Änderungsvorbehalt im Arbeitsvertrag festgelegt, war eine Versetzung an einen anderen Ort unwirksam. Der Arbeitnehmer konnte mithin auch nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG unmittelbar verlangen, seine Tätigkeit am alten Arbeitsort fortzusetzen. Sofern der Ort nicht geregelt ist, liegen bei einer örtlichen Versetzung (vorbehaltlich betriebsverfassungs- und tarifrechtlicher Grenzen) demgegenüber keine zur Unwirksamkeit führenden vertraglichen Einschränkungen vor. Der Arbeitgeber muss dann – wie bei jeder Weisung – „lediglich" die wechselseitigen Interessen im Rahmen der Billigkeitskontrolle angemessen berücksichtigen. Nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG war der Arbeitnehmer insoweit selbst im Falle einer eklatanten Unbilligkeit verpflichtet, seine Tätigkeit am neuen Arbeitsort aufzunehmen, bis die Unbilligkeit gerichtlich geklärt war. Anderenfalls entfiel der Vergütungsanspruch und es bestand die Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung wegen Arbeitsverweigerung, bei der es in Übertragung der genannten Rechtsauffassung des 5. Senates aufgrund des Zeitpunkts vor Feststellung durch das Gericht nicht darauf ankam, ob die Weisung im Ergebnis tatsächlich unbillig war oder nicht. Mit der bisherigen Auffassung des 5. Senats hatten Arbeitgeber somit ein starkes Werkzeug an der Hand, um Versetzungen kurzfristig zur Umsetzung zu bringen.

II. Kritik an der bisherigen Rechtsprechung und Aufgabe

Die Auffassung des 5. Senats wurde in der Literatur und von den Instanzgerichten scharf kritisiert und bisweilen als „Spielwiese für trennungswillige Arbeitgeber" bezeichnet. Insbesondere mit kurzfristigen örtlichen Versetzungen werde – so die Kritiker – den Arbeitnehmern mitunter Unmögliches abverlangt, was nicht zu rechtfertigen sei. Nachdem der 10. Senat des BAG angekündigt hatte, ebenfalls gegen die Rechtsauffassung des 5. Senates zu entscheiden, wurde beim 5. Senat angefragt, ob er an seiner bisherigen Rechtsprechung festhalte. Zur Begründung seiner angekündigten – von der bisherigen Rechtsprechung des 5. Senats abweichenden – Entscheidung führte der 10. Senat aus, dass es zwar zutreffe, dass die Weisungsgebundenheit das Arbeitsverhältnis präge. Mangels konkreter gesetzlicher Regelungen sage dies aber nichts über eine vorläufige Bindung aus. Überdies sei es auch aus praktischen Gründen angemessen, dass der Arbeitgeber als derjenige, der die Weisung erteile, das Risiko der Unbilligkeit seiner Weisung zu tragen habe, und nicht der Arbeitnehmer. Mit Beschluss vom 14.09.2017 (5 AS 7/17) teilte der 5. Senat daraufhin mit, dass er an seiner bisherigen Rechtsprechung nicht mehr festhalte. Im Ergebnis folgt daraus, dass damit auch eine (nur) unbillige Weisung bis zu einer gegensätzlichen rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung unverbindlich ist. 

III. Auswirkungen für die Praxi

Die Rechtsprechungsänderung erschwert die zeitnahe Umsetzung von Weisungen für Arbeitgeber erheblich. Während nach der bisherigen Rechtsprechung des 5. Senats eine Weisung – selbst bei später festgestellter Unbilligkeit – zumindest einstweilen galt und befolgt werden musste, ist nun eine Umsetzung erst nach rechtskräftigem Abschluss eines entsprechenden gerichtlichen Verfahrens möglich. Hierdurch kann sich die Umsetzung – je nach Gerichtsbezirk – durchaus um 1 ½ bis 2 Jahre verzögern. Gerade im Falle örtlicher Versetzungen sowie der Zuweisung von neuen Aufgaben haben Arbeitnehmer insoweit weitaus weniger Druck, solchen Weisungen nachzukommen. Der Automatismus, dass im Fall der Verweigerung – zumindest zunächst – der Vergütungsanspruch entfällt und die Kündigung droht, besteht so nicht mehr. Verweigert der Arbeitnehmer die Arbeitsaufnahme am neuen Ort/in neuer Funktion und wird deshalb keine Vergütung gezahlt und die Kündigung erklärt, hängen vielmehr künftig alle Ansprüche allein davon ab, ob die (Zu-)Weisung eines neuen Arbeitsortes bzw. neuer Tätigkeiten auch innerhalb der Grenzen der Billigkeit lag.

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